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Von Schafen, Hirten und Schäferhunden

Von Schafen, Hirten und Schäferhunden

Als ich Kind war, war eine meiner Lieblingsgeschichten aus der Bibel „das verlorene Schaf“. Ich hatte ein süßes Kinderbuch, in dem diese Geschichte nicht nur wunderschön erzählt – sondern auch mit sehr niedlichen Bildern illustriert wurde. Ich liebte dieses Bild: Ich bin das kleine Schäfchen. Eins von einer großen Herde und da ist dieser Jesus, der mich so sehr liebt, dass er für mich alles stehen und liegen lässt und nach mir sucht…

Als Erwachsene mochte ich diese Geschichte weniger. Ich hatte plötzlich ein Problem damit, dass wegen mir 99 Schafe allein gelassen werden. Wer kümmerte sich denn um die, wenn Jesus nach mir sucht?
Als ich Pastorin wurde, machte mich dieses Gleichnis sogar wütend. Noch im ersten Jahr meiner neuen „Verantwortung“ schrieb ich das Gleichnis vom „Verlorenen Hirten“. Denn plötzlich befand ich mich in einer Berufung als Pastorin und „Pastor“ bedeutet Hirte. Ich versuchte alles, um die „Herde“ – die Kirche gut zu ernähren, wollte für jeden und alle da sein und sah mich in der Verantwortung dafür zu sorgen, dass niemand die Herde verlässt. „Pass bei der Person auf, die fühlt sich schnell angegriffen“ oder „XY hat an mich herangetragen, dass ihr sie am Sonntag nicht mal begrüßt habt und einfach an ihr vorbei gelaufen seid.“ waren Sätze, die ich fast wöchentlich hörte. Immer wieder spürte ich Druck und Sorge um jedes Schäfchen der Gemeinde und ich fühlte mich vollkommen überfordert.

Vor zwei Jahren nahm ich mir eine Auszeit, um selbst wieder einfach ein „Schaf“ sein zu können. Ich sehnte mich nach den grünen Wiesen, nach frischem und klaren Wasser. Ich brauchte Leitung und Führung und vor allem Versorgung meiner Wunden, die im Kampf mit „dem Wolf“ immer wieder aufgerissen waren.
Vor einer Woche befand ich mich, zurück aus der Auszeit und wieder voll im Kirchenleben als „Co-Pastorin“ aktiv, auf einer Pastoren-Freizeit und wieder begegnete mir das Bild der Schafsherde und des Hirten. In der anschließenden Kleingruppen-Zeit tauschten wir uns über dieses Bild aus. Es ging darum, wieder nah am Hirten zu sein, darum, dass die Kirche nicht UNSERE Kirche, sondern die Kirche Jesu ist und ich befand mich in einem Dilemma. War ich nun ein Schaf oder ein Hirte? Wenn Jesus der Hirte ist und nicht ich – wie kann ich dann eine Kirche in der Lehre leiten, wenn ich gleichzeitig ein Schaf mitten in der Herde bin? -Hatte ich nun eine Verantwortung oder gar keine? Für mich passte das Bild nicht zusammen.

Aber dann…kam der Gedanke einer anderen Pastorin, dass sie sich wünscht, Jesus, den Hirten, genauso fröhlich begrüßen zu wollen, wir ihr Hund sie begrüßt, wenn sie nachhause käme und plötzlich „höre“ ich Jesus und mir wird eine große Last abgenommen. Denn mein Bild wird neu aufgestellt: Plötzlich ist in meinem Bild nicht nur die Schafherde und nicht nur der Hirte. Ich sehe zwei Schäferhunde. Sie sind fröhlich, sie rennen über die Wiese und sie treiben die Schafe zusammen. Immer wieder rennen sie zum Hirten, warten auf sein Pfeifen und rennen wieder zu den Schafen. Dann sehe ich plötzlich, wie der Hund am Abend an den Füßen des Hirten sitzt. Bei einem Kaminfeuer und seinen Rücken kraulen lässt….
Ich bin nicht der Hirte. Das ist Jesus. JESUS ist derjenige, der hinter jedem einzelnen Schaf her rennt. Er ist der, der weiß, wo die Weiden sind und der weiß, was jedes Schaf benötigt.
Ich bin der Schäferhund. Ich brauche die Nähe des Hirten. Er steht über mir. ER gibt die Kommandos. Er versorgt mich und krault mich. Ich höre, wie die Schafe, seine Stimme und führe das aus, was er sagt. Ich kenne meine Aufgabe und helfe ihm, die Herde beisammen zu halten und ich habe eine gewisse Aufgabe und in dieser Aufgabe auch Autorität – aber es ist nicht MEINE Herde.
Dieses Bild war plötzlich so entlastend für mich. Es ist gut zu wissen, dass wir nicht alleine sind. Die Last und die Verantwortung ist zu groß – darum ist es nicht meine Last und nicht meine Verantwortung sondern die von Gott. Es ist meine Verantwortung, nah an ihm zu bleiben, seine Stimme zu hören und das zu tun, was ER möchte. Mit dem Bewusstsein, dass ich nur mit ihm und durch ihn, mir von ihm zugewiesene Dinge tun kann und darf.

Lukas 15,4-9
Johannes 10,27

Was mir die Untreue eines Pastors über wahre Liebe zeigte

Gerade hörte ich (mal wieder) von einer Nachricht, die viel in mir auslöste:
Gestern noch scherzte ich im Austausch über die Präsidentenwahl mit einem Freund, dass ich bei der nächsten Wahl am liebsten eine bestimmte Person als Kandidat sehen würde.
Einen Pastor, der in den USA und darüber hinaus sehr bekannt ist und lange ein Vorbild war – nein sogar noch IST.

Heute musste ich in seinem persönlichen Instagram Post sein Statement dazu lesen, dass er seine Aufgabe als Pastor ab sofort nicht mehr wahrnehmen kann und wird, weil er seiner Frau bzw. seiner Familie untreu war. Der Schritt, nun eben nicht mehr als Pastor zu arbeiten ist für viele eine logische Konsequenz und nachvollziehbar.
Sein Statement ist so, wie alles, was er bisher öffentlich gesagt oder auch geschrieben hat: Ehrlich, reumütig, reflektierend und konsequent: Er schreibt: „Wenn du die Berufung als Pastor akzeptierst,
musst du so leben, dass du dieses Mandat ehrst, dass es die Kirche ehrt und
dass es Gott ehrt. Wenn das nicht passiert, muss eine Veränderung
stattfinden.“ Er schreibt unter anderem weiter, dass er in den
letzten Jahren nicht ausreichend auf seinen eigenen Geist geachtet hat, dass er seine eigene Seele nicht gut gefüllt hat und Hilfe nicht angenommen hat, wo sie notwendig war. Und weiter „Wenn du aus einer Leere leitest, triffst du
Entscheidungen, die echte und schmerzhafte Konsequenzen haben.“ usw.

Warum schreibe ich, dass er für mich nach wie vor ein Vorbild ist?
Weil er nach wie vor ehrlich zu seinen Fehlern steht, um Vergebung bittet, seine Konsequenzen zieht und ehrlich mit allem umgeht.

Und ich habe für mich erkannt: Die Gefahr oder die Schwierigkeit für
mich (und bestimmt auch für viele andere) ist, durch diesen Fehler, den er begangen hat, nicht alles, was er bis hierhin gesagt, gepredigt, geschrieben und gelehrt hat, in Frage zu stellen.

Den Fehler nicht schwerer und gleich zu gewichten, wie alles andere oder sogar schwerer als die PERSON und den MENSCHEN.

Meiner Meinung nach ist das genau das, was wir aber kennen: Jemand verletzt, jemand macht einen Fehler und schon ist er abgeschrieben und man möchte am liebsten alles, was mit der Person in Verbindung steht, aus dem Leben entfernen. Aber so möchte ich nicht sein!

Ich möchte immer mehr danach streben zu LIEBEN. Wenn ich die Bibel anschaue, dann steht da viel, was das genau bedeutet: Geduldig sein, sanftmütig sein, vergeben, nicht eifersüchtig sein, das Beste für den Anderen wünschen… Wenn ich daran glaube, dass Jesus mir alles vergeben hat und ich diese Vergebung annehmen darf – und wenn ich das Ziel habe, Jesus ähnlicher zu werden und mit seinem Blick der Liebe zu sehen, dann möchte ich mich auch dazu entschließen, den Schmerz Gottes zu spüren: Und dieser Schmerz ist anders als unser Schmerz.

Der Schmerz Gottes gilt auch den Menschen, die direkt oder indirekt von dem Fehler betroffen sind.
Der Schmerz Gottes gilt aber auch dem „Täter“ und dem „Opfer“ gleichermaßen. Das ist für uns unbekannt – denn wir stehen meist auf der Seite des Opfers. Verständlich, denn wir wollen Gerechtigkeit!

Seit ich mich dazu entschlossen habe, merke ich, wie ich nicht auf das Vorbild oder die Person wütend bin, sondern wütend, weil ich sehe, welche Auswirkungen es auf die Herzen von Menschen und auf alles Gute, was die Person gesagt und bewirkt hatte, hat. Ich fühle den Schmerz für die Ehefrau aber gleichzeitig den Schmerz für IHN und den Schmerz für die Frau, mit der er die Ehe gebrochen hat.

Ich glaube an eine geistliche Welt und an einen Kampf darin und ich
entscheide mich zu sehen und zu verstehen was es heißt, wenn Paulus uns in der Bibel warnt „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen,
sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, mit den Herren der Welt, die über diese Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.“ (Epheser 6,12 – Luther Übersetzung).

Wie gesagt, ich STREBE danach. Das heißt, dass ich selbst es auch oft nicht hinbekomme.  Mein Gerechtigkeitssinn ist doch sehr stark ausgeprägt…Aber ich möchte an den Punkt kommen, wo ich mit Gottes Herzen sehe und handle. Wo ich seinen Schmerz spüre und aushalten kann. An den Punkt, wo ich FÜR die Betrogenen UND die Betrüger bete. An den Punkt, wo ich sogar MEHR für diejenigen im Gebet kämpfe, die selbst aus Gottes Gegenwart gehen – ob kurz oder lang. Ich möchte an den Punkt kommen, wo ich Menschen, die aufgrund von Verletzungen oder sogar falschen Einstellungen handeln und verletzten nicht beschimpfe oder verjage, sondern zumindest innerlich mitleide, um sie trauere und für sie bete.  Das heißt NICHT, dass das Fehlverhalten, die Tat oder was auch immer dadurch gutgeheißen oder gar entschuldigt wird. Aber es bedeutet, dass ich der Tat nicht erlaube, meinen Schmerz zu benutzen um Hass zu entwickeln.
Das ist schwer. Das ist hart. Und ich wünsche mir nicht, dass ich darin getestet werde, indem ich selbst so verletzt werde und ich hoffe, bete und kämpfe dafür, dass ich selbst nicht verletze -..und doch gehe ich den mutigen Schritt und sage: ICH STREBE NACH DIESEM LIEBENDEN HERZEN GOTTES.

Ich glaube, wenn wir das endlich verstehen und alle danach streben, dass wir uns mit dieser vollkommenen Liebe füttern, dass diese Liebe den Schmerz und Verletzungen zulässt und aushält – dann könnte diese Welt so viel anders aussehen. Denn dann würde „Rache“ gar nicht existieren.